Alaattin Şahan

“Meine allererste politische Aktion führte dazu, dass ich gekündigt wurde. Ich war Arbeiter in den Stahlwerken in Ternitz. Vor den Betriebsratswahlen rief mich der Vorsitzende zu sich, damit ich den türkeistämmigen Gastarbeitern übersetzte. Er versprach, dass auch wir in den neuen Arbeiter_innenwohnheimen untergebracht werden würden, wenn wir ihn wählten. Wir wohnten damals in Räumen, die Ställen ähnlicher waren als Wohnungen.

No na haben wir ihn alle gewählt. Nach der Wahl: Nichts. Er sagte, die Österreicher wollen nicht mit euch im gleichen Haus wohnen. Die Häuser gehörten der Fabrik und die Fabrik leitete nicht der Direktor, sondern quasi der Betriebsrat. Was heißt sie wollen nicht?

Etwa zur gleichen Zeit fing ich an, mich in österreichischen wir türkeistämmigen linken Gruppen zu engagieren. So schrieb ich ein Flugblatt über die Ausbeutung von Arbeiter_innen, in dem ich auch das mit den Wohnungen erwähnte. Als sie einen Kollegen erwischten, als er das Flugblatt in der Werkshalle las, wurde ich zum Betriebsrat zitiert. Alle da, der Direktor, der nichts zu melden hatte, Ingenieure und der Vorsitzende. Da hat er mich rausgeschmissen, da ich das Flugblatt angeblich in der Arbeitszeit verteilt hätte. Später wurde der Gewerkschafter, der Arbeiter kündigt, Präsident der Arbeiterkammer in Niederösterreich.

Wenn Leute Unterstützung bei Behörden brauchten, fragten sie mich. Ich trug eine Brille, zog mich gepflegt an und weil einige sich meinen Namen nicht merkten, sagten sie, wenn andere mich suchten: “Na der da drüben, der ausschaut wie ein Arzt”. Seither heiße ich für viele einfach nur “Der Doktor”. Als ich für eine linke Zeitung in der Türkei schrieb, angeklagt und verurteilt wurde, kam noch ein weiterer Name dazu. Es gab zwar eine Amnestie, aber ich wusste nicht, ob ich ohne Gefahr einreisen konnte. So änderte ich meinen Namen – aus Alaattin Şahan wurde Mario Sahan.

Links sein heißt für mich Seite an Seite für die Überwindung der Verhältnisse zu kämpfen, die zu ökonomischer Ungleichheit, zu Kriegen oder zur Klimakrise führen.”

(Doktor) (Mario) Alaattin Şahan ist Arbeiter, Aktivist u.a. bei der Gründung von VTID, ATIGF, der Alternativen Liste, dem 10. Bundesland der Grünen oder der EKH Hausbesetzung durch Geflüchtete, Funktionär in der Alevitischen Gemeinde, Vater von fünf transnationalen Kindern. Alaattin ist LINKS.

Regina Amer

“Vor einer Woche wurden es fünf Jahre, dass ich meine Wohnung verlor. In zwei Wochen werden es auch fünf Jahre her sein, dass ich meinen Freund kennenlernte. So heben sich die schlechten und guten Erinnerungen gegenseitig auf.

Damals habe ich von Wohnungslosen-Initiativen in Deutschland erfahren und wollte wissen, was sie tun. Ich lernte mit der Zeit viele Aktivist*innen kennen. Irgendwann dachte ich mir, wenn dich das so stört, dann tu doch auch selber was. Vor zwei Jahren gründete ich dann mit meiner Tochter Hope Austria. Es sollte nicht mehr über die Betroffenen gesprochen werden, sondern wir für uns selbst. Wenn man Menschen abspricht, für sich selber entscheiden zu können, werde ich einfach rebellisch. Es werden einfach immer mehr Leute sich die Wohnung nimmer leisten können und das kann man nicht totschweigen. Dass viele nicht wissen, ob sie Miete zahlen oder was essen sollen, darf in einer sogenannten Menschenrechtsstadt nicht sein. Dass man Menschen, die nicht seit den Neandertalern in Österreich leben, bei den Mieten bescheißt, das geht einfach nicht. Dass dann auch noch Wohnungen leer stehen, das kann mir niemand erklären.

Wie ich aus dem Weinviertel nach Wien kam, war ich froh, dass wir eine Frauenministerin hatten, weil ich ein Frauenhaus gebraucht habe. Ich dachte “Endlich wieder in Ruhe schlafen!”. Ich war dann lang SPÖ-Wählerin. Mittlerweile nimmer, es geht denen ja nur mehr um Posten und nimmer um ihre Ideale. Viele Leute, die ich kenne, gehen gar nimmer wählen, denn wen sollten sie denn wählen, die anderen sind ja auch nicht besser.

Links sein heißt für mich für die Menschen da sein. Wenn ich nur dran denke, wie schnell Banken gerettet werden, während so wenig für die Menschen gemacht wird, die nichts haben und Unterstützung brauchen. Ich glaube, dass die etablierten Parteien kein Interesse daran haben, was gegen Armut zu tun, weil sie alle gut daran verdienen, dass es Armut gibt. Da ist Links einfach viel besser drauf.”

Regina Amer ist Mutter, Oma, Alleinerziehende, Pensionistin, Aktivistin, Gründerin der Wohnungslosen-Selbstorganisation Hope Austria, Feministin, Revolutionärin. Regina ist LINKS.

Amela Mirkovic

„Mein Interesse für Politik fing in der Kindheit an. Damit, dass Menschen mich Sachen fragten, die mich irritierten. Was machst du hier? Wo bist du geboren? Warum sprichst du Deutsch? Fragen, die ein Kind überfordern, mich aber nicht losließen. Ich begann, darüber nachzudenken, was in Menschen vorgeht, wie sie sich und andere sehen. Und selber Fragen zu stellen: Drei Schwestern und ein Bruder – Warum wird der Bruder bevorzugt? Die Armut meiner Eltern – Warum kriege ich nur getragenes Gewand? Fragen, die typisch sind für Kinder, machten aus mir einen politischen Menschen. Ich ging durchs Leben und fing an, mir Sachen anzueignen und versuchte, daraus was Gutes zu machen.

Dann kam der Zerfall Jugoslawiens. Das war auch ein Schock und auch ein Moment der Politisierung. Meine Erstheimat, das sozialistische Land, das Land der Partisan_innen, die gegen die Nazis gekämpft haben, das für mich Solidarität und Einigkeit bedeutete, versank im nationalistischen Wahn.

Warum schon wieder wir? Ich hatte doch gerade angefangen, die Zukunft zu planen. Plötzlich war ich nicht mehr nur mit den eigenen Sorgen beschäftigt, sondern auch mit jenen von vielen anderen. Gleichzeitig: Auf einmal waren mehr Menschen wie ich da, wir waren mehr, das war bestärkend. Die Jahre danach waren eigentlich nur Überleben. Eine Existenzgrundlage für meine Familie schaffen, Familie in Bosnien unterstützen, für Geflüchtete dolmetschen, Kindern Sprachunterricht geben, hoffen, dass der Krieg bald vorbei ist, die Hoffnung nicht verlieren, dass die Welt noch zu retten ist.

Links war ich schon immer. Ich gehörte immer zu einer Minderheit. Ich musste immer die Sicht der Mehrheit zu verstehen. Aber umgekehrt? Wie erklärst du Menschen, die es nicht kennen oder nicht verstehen wollen, wie es ist, alleinerziehend zu sein oder Mindestsicherung zu beziehen? Links sein heißt für mich, nicht mit geschlossenen Augen durchs Leben zu gehen. Es heißt hinzusehen und für Gerechtigkeit zu kämpfen.“

Amela Mirkovic ist Wienerin, Gastarbeiterkind, Antifaschistin, Feministin, Alleinerziehende, Lehrerin, Sozialpolitikerin, Bezirksrätin. Amela ist LINKS.