“Als ich noch in Niederösterreich lebte, hatte ich ein Doppelleben. Hier das migrantische Arbeiter*innenumfeld, in dem ich lebte, dort die Klassenkolleg*innen, die aus ganz anderen Verhältnissen kamen als ich. Mir wurde von Lehrer*innen, von Mitschüler*innen immer wieder das Gefühl vermittelt, dass ich nicht dazugehöre, nicht dazugehören kann.
Ich wollte aber dazu gehören und fühlte ich mich ungerecht behandelt. Erst dachte ich, ich müsste an mir etwas ändern. Dann fiel mir immer mehr auf, dass ich nicht alleine war mit meiner Situation, und dass die Ungleichbehandlung nicht nur mich betraf. Dann begann ein Prozeß in mir.
Die Geschichte meiner kurdisch-alevitischen Familie ist von Flucht, Unterdrückung und Völkermord geprägt. Zusammen mit meinen eigenen Erfahrungen konnte ich an einem gewissem Punkt nicht anders, als selbst was zu tun. Mich zu solidarisieren. Anzufangen, gegen die Machtverhältnisse zu kämpfen, die dafür sorgen, dass es uns nicht allen gleich gut geht.
Ich engagiere mich seither. Im Wahlkampf für VdB, in der Tierbefreiungsszene, in einem queer-migrantischen Kollektiv, in unterschiedlichen kurdischen Plattformen, im alevitischen Verein und in feministischen und antifaschistischen Gruppen. Oft fällt mir auf, dass es die Marginalisierten selbst sind, die sich leichter mit Empathie für andere tun und dass Menschen, die weniger betroffen sind, auch seltener ihre Stimmen erheben. Genau das hemmt Veränderungen in der Gesellschaft: Dass Leute nicht bereit sind, sich mit ihren Privilegien auseinanderzusetzen und daran zu arbeiten, diese aufzugeben.
Links zu sein bedeutet in diesem Sinne für mich, nicht nur Symptome bekämpfen, sondern die Probleme unserer Gesellschaft an der Wurzel anzupacken. Das heißt auch an sich zu arbeiten. Denn links „wird“ oder „ist“ man nicht: Das ist ein Prozess, der niemals endet.”
Sidal Keskin ist Feministin, Aktivistin, Angestellte, Köchin, Studentin der Politikwissenschaft. Sidal ist LINKS.