Die ÖVP hat mit der Landespolizeidirektion Wien eine Kampagne mit dem Titel „Zeig dein Kämpferherz. Und stell dich gegen Gewalt an Frauen“ zu den 16. Tagen gegen Gewalt an Frauen ausgearbeitet. Wer glaubt, dass das Resultat dieser Kooperation die lang ersehnte und längst überfällige Strategie zur tatsächlichen Bekämpfung von Gewalt an Frauen ist, der irrt. Sie ist ein Schlag ins Gesicht für alle Opfer von Gewalt und verkennt jegliche Verantwortung der Täter.
Eine Farce
Die Kampagne umfasst Tipps an Frauen, wie sie sich einer von patriarchaler Gewalt geprägten Gesellschaft am besten fügen. Beispielsweise könnten Frauen die Straßenseite wechseln, sollten sie sich im
Dunkeln unwohl fühlen. Oder Punkt vier, „um sich im öffentlichen Raum sicher zu fühlen“: im Notfall ganz laut „NEIN“ und „STOPP“ rufen. Und am glorreichsten: „einen möglichen Gefährder oder Gefährderin“ siezen. Zudem sechs Tipps, wie Unbetroffene „ihr Kämpferherz zeigen können“. Diese sogenannten Sicherheitstipps sind fraglos eine noble Geste, haben aber sonst keinerlei langfristigen Nutzen.
So hat die ÖVP in ihrer Kampagne beispielsweise auch ausgezeichnet erkannt, dass psychische und physische Gewalt Frauen jeder Altersklasse, Herkunft, Religion und aus jeder sozialen Schicht betrifft. Allerdings leben wir in keiner gerechten Welt, in der alle Menschen denselben Zugang zu Bildung haben und dieselben Privilegien genießen; von Intersektionalität keine Spur. Nicht alle Frauen können „Nein“ sagen oder benennen, Opfer patriarchaler Gewalt zu sein. Es ist auch nicht die Aufgabe von Frauen und weiblich gelesenen Menschen, sich Verhaltensweisen anzueignen, mit denen sie sich besser vor Tätern schützen können. Dafür, dass Raab öffentlich gerne betont, dass niemals Opfer verantwortlich sind, zielt die Kampagne ihrer Partei doch stark auf die Eigenverantwortung jeder einzelnen Frau und ihrem Umfeld ab, sich in Bedrohungssituationen korrekt zu verhalten.
Nicht Migranten haben das Patriarchat nach Österreich geschleppt
Die Minimalvoraussetzung zum wahrhaften Schutz von FLINTA* stellt klar die Anerkennung und Benennung patriarchaler Strukturen dar, und zwar nicht nur dann, wenn es um die Durchsetzung der eigenen politischen Agenda gegen Migrant:innen geht. Die Benennung von sozialer Ungerechtigkeit und gesellschaftlichen Strukturen, die es immer wieder pardonieren, wenn sich Männer taktlos und übergriffig Frauen gegenüber verhalten. Das ist die Aufgabe einer Regierung, einer Frauenministerin Raab. Es ist ihre Aufgabe, mehr Mittel für Aufklärungs- und Präventionsarbeit locker zu machen. Die aktuellen Maßnahmen reichen nicht. Einfacher ist es jedenfalls, das Gewaltproblem an sogenannte nicht richtig integrierte Migranten abzuwälzen. Patriarchale Gewalt ist schließlich kein neues Phänomen.
Täter adressieren
In der Kampagne werden Männer nicht als Täter benannt und die Ansprache lautet „Liebe Wienerin“. Die Volkspartei, die regiert, die die Frauenministerin stellt und dennoch das ganze Jahr über tatenlos zuschaut, wie 26 Frauen ermordet und 41 weitere Opfer von Mordversuchen wurden, hätte also ein Mal im Jahr die Möglichkeit gehabt, das richtige Zeichen zu setzen; eine Kampagne für FLINTA* zu starten, die ganz klar Täter adressiert. Mit einer Ministerin Raab, die die Bezeichnung als Feministin ablehnt – obwohl man glauben mag, das sei die Mindestanforderung für eine Politikerin in diesem Amt -, ist dieser Fehltritt allerdings nicht verwunderlich.
Die Untätigkeit Raabs mag auch daran liegen, dass ihre Partei aktuell schwer damit beschäftigt ist, die Bevölkerung in normal und nicht normal einzuteilen und der Fokus derzeit bei wirklich wichtigen Problemen wie dem Gendern liegt. Da fehlen dann wohl die Ressourcen für die differenzierte Auseinandersetzung mit Bagatellen wie Femiziden.
So, und wer sagt Mahrer, Keri und der LPD Wien jetzt, dass wir im Dunkeln eh die Straßenseite wechseln? (Edanur Arlı, 8. Dezember 2023)